Jetzt wird geschimpft!

Dieser Artikel will Dampf ablassen! Letzte Woche habe ich die Bedienungsanleitung für meine derzeitige Turnierflotte vorgestellt - eine Aufgabe, von der ich behauptete, dass sie bei Armada eigentlich gar nicht möglich sei. Armada sei zu komplex, die Ausgangbedingungen jeder Konfrontation so grundverschieden, dass es gar nicht zu bewältigen sei, eine strikte Bedienungsanleitung für eine Flotte zu geben. Doch dann tat ich es. Ich sagte präzise, wie die Schiffe auf- und die Kommandoräder einzustellen seien; in welcher Reihenfolge man die Schiffe aktivieren und wohin ungefähr ziehen solle.

Warum war es möglich, eine recht ausführlich Bedienungsanleitung für die Flotte zu geben, wo ich doch zuvor behauptet hatte, dass dies bestenfalls bruchstückhaft zu bewerkstelligen sei? Die Antwort lautet: Die Flotte ist am Spieltisch manifestierte geistige Armut! Es braucht nur mäßig Hirn und ein Mindestmaß an Spielerfahrung, um diese Flotte erfolgreich zu spielen. Aber damit endet meine Kritik noch nicht. Gerne lege ich noch ein wenig oben drauf: Die Flotte is zudem ein Parasit und, zu guter Letzt, nimmt sie das gesamte Spiel in Geiselhaft!

 

Geistige Armut*

Als ich mich erstmalig für diese Flotte im Turniereinsatz entschied, tat ich es, da ich eine staffelarme Flotte spielen wollte. Ich bin nicht der flinkeste Spieler - vor allem im Staffelkampf. Also wollte ich nicht so unhöflich sein, meine Gegner viel Lebenszeit zu kosten. Eine effektive Flotte mit wenig Staffeln musste her. Mir schien das Zusammenspiel von Mon Mothma, zweier robuster Staffeln zum Blocken (Shara und Tycho) sowie der Hacker-Tools-Flotillen zur Sabotage feindlicher Träger diese Anforderung zu erfüllen.

Schon damals hatte ich das Gefühl, dass das Manöver von Letzer-und-Erster-Aktivierung, das den Kern dieser Flotte ausmacht, irgendwie grundlegend falsch ist. Jetzt, viele Spiele später, glaube ich zu wissen, worin das Problem liegt:

Der unhintergehbare Kern von Taktik- und Strategiespielen ist die Entscheidung. Nur ein Spiel, bei dem man eine Entscheidung treffen kann, fordert einen heraus. In der Entscheidung kulminieren all meine Überlegungen und Analysen des Spiels. Damit aber ein Spiel anspruchsvoll und herausfordernd sein kann, müssen die Entscheidungen hart sein. Wenn ich mich zwischen einer offensichtlich einprozentigen Siegeschance und einer offensichtlich neunundneunzig-prozentigen Siegeschance entscheiden muss, so ist die Entscheidung belanglos. Jeder außer der Spieltisch-Masochist wird die Option wählen, die den offenkundigen Sieg verspricht.

 

Genau dies fehlt bei der Flotte, für die ich letzte Woche eine Bedienungsanleitung gab. Es müssen keine harten Entscheidungen mehr getroffen werden, wenn man sie erst einmal verstanden hat. Der Grund dafür ist das, was ich den taktischen Nukleus dieser Flotte nannte: das unselige Manöver von Letzer-und-Erster-Aktivierung. Wird dies mit einem Schiff großer Geschwindigkeit (oder Robustheit) und immenser Feuerkraft (wie beispielsweise einer Torpedofregatte) ausgeführt, kann der Gegner wenig tun, außer frustriert zuzuschauen. Beinahe völlig mechanisch erfolgt Manövrierung und Aktivierung der Schiffe. Eine Flotte, die auf dem Manöver von Letzer-und-Erster-Aktivierung baut, ist derart stupide, dass sich ihre Kontrolle schon fast in einen simplen Algorithmus überführen lässt.

Und dabei ist mit meiner Mon Mothma-Flotte noch nicht einmal die Spitze geistiger Armut erreicht. Immerhin müssen hier noch zwei Torpedofregatten koordiniert werden, die beide nicht gleichzeitig den Bug von Letzer-und-Erster-Aktivierung nutzen können. Schlimmer wird es, wenn ein noch deutlich schadenskräftigeres Schiff dies tut - ein vollausgestatteter ISD oder eine bis an die Zähne bewaffnete Liberty. Wird diese mit der letzten Aktivierung in nahe Distanz an den Gegner so herangeflogen, dass sie ihn in zwei Schusswinkeln haben, ist das Ergebnis desaströs.

 

Nehmen wir beispielsweise die Flotte des ehemaligen italienischen Meisters und Halbfinalisten der Europameisterschaften:

 

Flotte (384/400)

 

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Schlachtkreuzer (103 + 39)

 

+ Geheimdienstoffizier (7)

 

+ Erfahrene Bordschützen (5)

 

+ Hochleistungs-Ionenturbinen (8)

 

+ Antriebstechniker (8)

 

+ XX-9-Turbolaser (5)

 

+ XI7 Turbolaser (6)

 

Mittelschwer (18+20)

+ General Dodonna (20)

 

 

Mittelschwer (18 + 2)

 

+ Kommunikationsnetz (2)

 

 

 

Mittelschwer (18)

 

 

Mittelschwer (18)

 

 

Mittelschwer (18)

 

 

Shara Bey (17)

 

Tycho Celchu (16)

 

2 x VCX-100 Frachter (15)

 

HWK-290 (12)

 

5 x A-Flügler (11)

 

Die ganze Flotte baut im Kern nur darauf, einen Angriff mit zwei Feuerwinkeln aus nächster Nähe gegen wertvolle Schiffe des Gegners durchzuführen (eventuell gepaart mit einem Doppelrammangriff, falls dies nicht reicht). Die Staffeln dürfen den Rest übernehmen, falls noch etwas übrig bleibt. Ihr Erfinder hat meines Wissens mit dieser Flotte noch kein Spiel verloren, solange er zu Beginn des Spiels über die letzte und erste Aktivierung verfügte. Bei Online-Spielen, die er bestritt, hatten wir uns einmal in einem privaten Chat unterhalten. Dort konnte er mir haargenau vorhersagen, in welcher Runde und an welchem Ort er gegnerische Sternenzerstörer der Imperiumklasse aus dem Spiel nimmt. Alles traf wie vorhergesagt ein.

 

Eine solche Vorhersage ist auch kein Kunststück: Denn das Manöver von Letzer-und-Erster-Aktivierung macht den Spielverlauf vorhersehbar. Es beraubt das Spiel seines Kerns. Es entbindet von harten Entscheidungen.

 

Ein Parasit

Doch leider beschränkt sich der schädliche Einfluss auf das Spiel nicht mit geistiger Armut. Eine Flotte, die auf dem Manöver von Letzer-und-Erster-Aktivierung baut, ist zudem noch ein Parasit. Denn nicht jeder kann sie spielen. Genau genommen kann nur eine einzige Person damit durchkommen. Um dies zu verstehen, nehmen wir uns folgendes hypothetisches Szenario vor: Angenommen, es gäbe eine bestimmte Flotte, die völlig aus der Spielbalance ausschert. Weiterhin angenommen, jeder würde deswegen diese spielen. Träfen nun zwei Spieler mit dieser Flotte aufeinander, so wäre dies zwar langweilig, aber keine Katastrophe. Das Spiel würde zeigen, wer besser diese Flotte zu spielen vermag. Nicht so bei dem parasitären Flottentyp von Letzer-und-Erster-Aktivierung. Denn Treffen zwei Spieler mit disem Flottentyp aufeinander, kann nur einer das Manöver ausführen: Nämlich der, dessen Initiativegebot höher ist. Bei Gleichstand entscheidet letztlich ein einziger Zufallsentscheid, wer von beiden mit immensem Vorteil ins Spiel startet. Wer letztlich gewinnt, hängt in so großem Maße davon ab, wer bei der Flottenzusammenstellung ein klein bisschen höher gepokert hat - oder von einer einzigen 50-50 Chance zu Spielbeginn. Das ist gähnend langweilig. Parasitengleich hofft der Flottentyp von Letzer-und-Erster-Aktivierung darauf, dass er in einer Welt lebt, wo er der einzige seiner Art ist und der Rest Opfer für seine gierigen Zähne.

 

Geiselhaft: Es sind nicht die Flottillen!

Dass ich diesen Flottentyp als so aus der Spielbalance geraten darstelle, mag Verwunderung auslösen: Wenn er so stark ist, warum wird er dann nicht landauf, landab gespielt? Oder noch pointierter: Mir fällt kein einziges bedeutendes Turnier seit dem Online-Worldcup im Frühjahr 2016 ein, bei dem eine Flotte gewonnen hätte, die auf letzter und erster Aktivierung baut. Veggie, was für ein Problem hast Du also?

Das Problem zeigt sich, wenn man sich die Konter gegen das Manöver von Letzer-und-Erster-Aktivierung anschaut. Es gibt drei Konter unterschiedlicher Stärke gegen solche Flotten.

Der schwache Konter: Rieekan

Rieekans Fähigkeit mildert das Manöver von Letzer-und-Erster-Aktivierung deutlich ab. Denn wo zuvor ein zerstörtes Schiff ohne die Möglichkeit eines Vergeltungsschlags war, ist Dank Rieekan ein zerstörtes Schiff mit Vergeltungsschlag! Oben habe ich geschrieben, dass das Manöver von Letzer-und-Erster-Aktivierung von harten Entscheidungen entbindet. Mit die härstesten Entscheidungen, die Armada von seinen Spielern fordert, ist die Reihenfolge der Aktivierung. Rieekan gleicht dem Manöver von Letzer-und-Erster-Aktivierung darin, dass auch er den Entscheidungen der Aktivierungsreihenfolge einen Teil ihrer Härte nimmt. Rieekan mag es zweiter Spieler zu sein und kommt deswegen besser als andere mit dem hier beschimpften Flottentyp zurecht.

Der mittelstarke Konter: gleich viele Aktivierungen

Doch besser ist es, einer Flotte, die auf letzte und erste Aktivierung baut, genau das zu entziehen. Ein Weg dazu ist, ihr die letzte Aktivierung strittig zu machen. Habe ich mindestens genauso viele Aktivierungen wie der erste Spieler, war es das. Er muss seine größten Gefahrenquellen vor meinem wertvollsten Schiff aktivieren. Dadurch kann ich eventuell zuerst auf dieses Feuern - und ziemlich sicher kann ich einem, vielleicht sogar beiden Feuerwinkeln entgehen, da ich weiß, wo es zu Beginn der nächsten Runde stehen wird.

Der stärkste Konter: ein höheres Initiativegebot

Mindestens gleich viele Aktivierungen wie der erste Spieler zu haben ist gut. Gelingt es ihm jedoch, schnell fragile Schiffe von mir zu zerstören, so dass meine Aktivierungszahl unter die seine fällt, geht es ab dann mit dem Manöver von Letzer-und-Erster-Aktivierung weiter. Daher ist der stärkste Konter gegen diesen Flottentyp ein besseres Initiativegebot zu haben und selbst erster Spieler zu werden.

 

Der stärkste Konter ist jedoch zugleich der unzuverlässigste. Denn auf ihn zu bauen, heißt ein kopfloses Rennen auf das höchste Initiativegebot zu entfachen. Der sinnvollste Konter ist daher der mittelstarke: Flotten mit möglichst vielen Aktivierungen!

Ja, Flotten die auf das Manöver von Letzer-und-Erster-Aktivierung bauen, haben schon lange kein großes Turnier mehr gewonnen. Dies verdeckt jedoch die Tatsache, dass sie im Hintergrund die Turnierszene prägen. Schon nur die Gefahr auf eine solche geistlose Monstrosität zu treffen, ist einer der wichtigsten Gründe dafür, dass die Zahl der Aktivierungen in den letzten zwölf Monaten so entschieden nach oben gestiegen ist.

 

In den letzten Monaten wurde vielerorts über die allgegenwart von Flottillen geschimpft. Ich glaube, dies ist nur ein Symptom und verdeckt das eigentliche Problem. Ein wesentlicher Grund für deren Allgegenwart ist, dass sie eine Antwort auf das Manöver von Letzer-und-Erster-Aktivierung bieten. Vor den Flottillen hatten nur die wenigsten Flotten 4 oder gar 5 Aktivierungen. Die Flottillen haben dies geändert. Plötzlich waren sogar 5 Aktivierungen auch für Listen mit großen Schiffen und Staffelbegleitung möglich. Wer auf das Manöver von Letzer-und-Erster-Aktivierung spielt, muss inzwischen gleich mehrere anderweitig fast sinnbefreite Aktivierungen in seine Liste aufnehmen, um dem Manöver noch halbwegs seine Grundlage schaffen zu können.

 

Nochmals: Ja, Flotten, die auf das Manöver von Letzer-und-Erster-Aktivierung bauen, haben schon lange kein großes Turnier mehr gewonnen. Aber ihre bloße Existenz, hat Armada unmissverständlich seinen Stempel aufgedrückt. Jeder Ansatz, eine kompetitiv taugliche Flotte zu erstellen, muss immer mit der Gefahr rechnen, auf die geistige Armut von letzter Woche zu treffen (oder ein äquivalent dazu). Und das heißt: Jede kompetitiv taugliche Flotte braucht viele Aktivierungen.

 

Ein düsterer Ausblick

Auch die Errata, die von FFG letzter Woche publiziert wurden, werden an der gegenwärtigen Situation nur wenig ändern. Man mag zwar glauben, dass die durchschnittliche Aktivierungszahl in Zukunft sinken wird, jetzt da Flottillen nicht mehr als Rettungsbote für den Flottenkommandanten genutzt werden können. Mir scheint dies jedoch, die Situation für meine Mothma-Flotte nur zu begünstigen: Dort kann der Kommandant einfach auf Jainas Licht wechseln. Die bleibt auf weiter Distanz (und bevorzugt hinter Hinternissen). Dadurch, dass aber nun die ganzen Kommandanten-Rettungsbote wegfallen, werde ich viel öfter auf Flotten mit weniger Aktivierungen als die meine Treffen. Gefundene Fressen!

 

Am meisten fürchte ich aber das Eintreffen von Welle VI. Die dort enthaltenen Aufwertungskarten, um Verteidigungsmarker zu erschöpfen, werden im Zusammenspiel mit dem Rächer-Titel des ISD das Manöver von Letzer-und-Erster-Aktivierung nochmals stärker machen. Schauen wir uns kurz folgende Flotte an:

 

 

Flotte (386/400)

 

====================

 

Imperium II-Klasse (120 + 37)

 

+ Admiral Sloane (24)

 

+ Erfahrener Erster Offizier (1)

 

+ Boarding Troopers (3)

 

+ Leitschüsse (4)

 

+ Rächer (5)

 

 

Kreuzer (23 + 6)

 

+ Kommunikationsnetz (2)

 

+ Unterdrücker (4)

 

 

Kreuzer (23 + 5)

 

+ Erweiterter Hangar (5)

 

 

Kreuzer (23 + 2)

 

+ Kommunikationsnetz (2)

 

 

Kreuzer (23)

 

 

Kreuzer (23)

 

 

Colonel Jendon (20)

 

"Kreischläufer" (16)

 

3 x TIE-Abfangjäger (11)

 

4 x TIE-Jäger (8)

 

 

Der Rächer-ISD fliegt mit seiner letzten Aktivierung an das Punkte-reichste Ziel der gegnerischen Flotte so heran, dass es dies in zwei Feuerwinkeln hat. Dann werden zu Beginn der nächsten Runde durch die Boarding Troopers sämtliche Verteidigungsmarker des Ziels erschöpft und sind somit dank des Rächer-Titels unbrauchbar. Der nun folgende Schaden durch beide Feuerwinkel gepaart mit einem Rammmanöver reicht statistisch dazu aus, eine Heimat Eins zu zerstören oder auf einen Hüllenwert von 1 zu reduzieren - und dem Gegner bleibt nichts, außer dem hilflos zuzusehen.Gegen weitere Schiffe des Gegners stehen dann die Boarding Troopers zwar nicht mehr zur Verfügung, aber dank Admiral Sloane kann der ISD auch weiteren Zielen bei der ersten Aktivierung in einer Runde ihre Verteidiungsmarker wertlos machen.

Schon nur die Existenz  dieser Flotte bedroht alles, was fünf oder weniger Aktivierungen hat. Das Manöver von Letzter-und-Erster-Aktivierung wird daher auf lange Sicht, die Flottenvielfalt des Spiels maßgeblich einschränken. Da helfen auch keine Sith-Karotten. Die beruhigen aber wenigstens.

Genug geschimpft - bald gibt es wieder erfreulichere Themen!

 

 

* Anmerkung: Wenn ich hier von "geistiger Armut" rede, will ich ausdrücklich nicht behaupten, dass Spieler solcher Flotten (beispielsweise ich selbst) mit solcher geschlagen seien. Dies gilt insbesondere für den ehemaligen italienischen Meister, mit dem ich ganz gerne chatte. Gerade das Design seiner Flotte weist im Gegenteil fast schon teuflische Intelligenz auf. Einzig das Spiel dieser Flotten verlangt von seinen Spielern nicht mehr als geistige Armut, selbst wenn sie nicht mit solcher geschlagen sind. Naja, selbst das ist noch überspitzt ausgedrückt - aber das Problem wurde, so hoffe ich, klar.

 

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